Claus Valentin

Wie wird man eigentlich… Musterzeichner?

Der 83-jährige Claus Valentin machte seine Lehre als Musterzeichner in Krefeld und kann auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken.

„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Als Joseph Beuys diesen Satz äußerte, meinte er nicht, dass alle Menschen Maler oder Bildhauer werden sollten. Es ging ihm um schöpferische Kraft und Kreativität. Wie man diese in einem Brot- und Butter-Job ausleben kann, erzählte uns der 83-jährige Claus Valentin. Weil er schon als Schüler gern zeichnete und Karikaturen seiner Lehrer anfertigte, machte der gebürtige Sachse eine Lehre als Musterzeichner in Krefeld. Längst wird der Beruf, genau wie Patroneur und Kartenschläger, durch Computer ausgeführt. Doch unzählige Anekdoten über ein Leben als selbstständiger Designer von Textilien und Tapeten sind noch da. Inklusive Besuch bei Picasso und Festnahme als Spion.

Kunst. Reisen. Familie. Mehr Worte braucht es nicht, um das Leben von Claus Valentin auf den Punkt zu bringen. „Ich wollte eigentlich Maler werden“, fällt der freundliche Senior gleich mit der Tür ins Haus. Die Wände im Flur sind mit hochwertigen Textiltapeten in Gold geschmückt, von der heute beliebten Raufaser ist in der Wohnung keine Spur zu sehen. Unter den vielen gerahmten Bildern entdecken wir einen Van Gogh. „Aber als Künstler kann man ja keine Familie ernähren“, sagt der gelernte Musterzeichner fast entschuldigend. Er legt ein paar fein säuberlich beschriebene Blätter auf den Tisch, glättet sie sorgfältig und beginnt leicht ironisch vorzulesen: „Am Donnerstag, 14. September 1939, zwischen 14 und 16 Uhr, schenkte in der Uni-Klinik Leipzig Margarete Schneider einem Kinde das Leben. Es war regnerisch, die Sonne zeigte sich an jenem Tage nur für zwei bis drei Stunden.“ Das Wetter an seinem Geburtstag habe er im Internet recherchiert, grinst er. Ganz klar: Dieser Mann hat eine Schwäche für Details. Der autobiografische Text sei vor drei Jahren für einen Vortrag in der Friedenskirche entstanden, ausnahmsweise ohne Ehefrau Monika, die er im Laufe des Gesprächs mehrfach als „wesentliche Stütze im Beruf und bei der Büroarbeit“ hervorhebt.

Carl Valentin hielt fast sein ganzes Leben in handgeschriebenen Schriftstücken, Briefen und Dokumenten fest.

Von nun an rauschen wir buchstäblich durch eine Lebensgeschichte, die stark durch den zweiten Weltkrieg geprägt wurde: Claus verbringt eine „relativ unbeschwerte“ Kindheit im Erzgebirge, sein Vater fällt früh im Krieg, die Mutter arbeitet als Krankenschwester im Lazarett. Dort lernt sie den Flugzeugmechaniker Rolf Valentin kennen und lieben. Die Zerstörung Dresdens wird Claus gemeinsam mit der geliebten Oma Ottilie aus einem Dachfenster heraus beobachten, was er sachlich beschreibt. Genau wie Hunger, Armut sowie die wochenlange Flucht der Familie ins Rheinland. Nur manchmal fallen Worte wie „Inferno“, „Trümmerhaufen“ oder „Stahlkolosse“, die das Grauen dieser Zeit erahnen lassen. Der sächsisch sprechende Junge wird in Krefeld eingeschult, gewöhnt sich an neue Stiefgeschwister und Dialekte – und an Schokolade, wie er lächelnd zugibt. Als Teenager entdeckt er sein Zeichentalent. „Mit dreizehneinhalb wurde ich während eines Besuchs in der DDR unter Spionageverdacht verhaftet, weil ich in der Landschaft saß und einfach nur zeichnete.“ Claus Valentin lacht über diese Erfahrung Anfang der Fünfzigerjahre, als sei sie vollkommen harmlos gewesen.

Valentin mit dem Gehilfenbrief, der ihm den Abschluss der Ausbildung als Musterzeichner bescheinigt, sowie einigen von ihm erstellten Tapetenmustern.

„Mein Klassenlehrer Wilhelm Krapohl erkannte früh, dass ich später eine kreative Tätigkeit antreten würde“, erinnert sich Claus Valentin an seinen Förderer. „Onkel Gustav, der Textilingenieur war, sorgte dann dafür, dass ich nicht wie mein Stiefvater als Polizeibeamter enden würde, sondern 1958 eine Ausbildung zum Musterzeichner im Atelier Pfeifer beginnen konnte.“ Doch die Lehre in dem kleinen Betrieb auf der Hülser Straße langweilt den jungen Mann rasch: „Im zweiten Lehrjahr wollte ich ausbüxen und länger verreisen. Ich hatte zuvor auf dem Bau gearbeitet und Geld gespart. Meinen Eltern legte ich einen Zettel auf den Tisch, dass sie mich nicht suchen sollten, ich würde heil zurückkehren.“ Die braunen Augen funkeln verschmitzt.

Sein Stiefvater hätte ihm diese Reise nie erlaubt, ihn vielleicht sogar per Interpol suchen lassen. Also geht Claus per Anhalter auf „geheime Mission ohne Ziel“: Er trampt über Luxemburg, Frankreich und Spanien bis nach Marokko, trifft gleichgesinnte Jugendliche und besucht große Museen wie den Prado in Madrid. In der Nähe von Cannes kommt er auf die Idee, bei Pablo Picasso zu klingeln, doch der sei nach Aussage der Ehefrau beim Stierkampf gewesen, schmunzelt er. In Casablanca geht ihm nicht nur das Geld aus, wegen eines Sonnenbrandes wird der Weltenbummler in ein Krankenhaus eingeliefert und legt sich mit einer arabischen Prinzessin an, die ihn beschuldigt, einen wertvollen Kugelschreiber gestohlen zu haben. Claus Valentin schildert seine kleinen Abenteuer so detailreich wie ruhig. Er wirkt wie ein tiefenentspannter Macher, der ohne Scheu auf Menschen zugeht und Probleme dann löst, wenn sie auftauchen. Und so gelangt er mit einem Darlehen der deutschen Botschaft („70 D-Mark“, um genau zu sein) über Paris nach Krefeld zurück und beendet dort erfolgreich die Lehre. Was seine Eltern dazu sagten, ist übrigens nicht überliefert.

Das Bild einer typisch niederrheinischen Landschaft malte der Musterzeichner selbst.

Nicht ganz überraschend gefällt ihm auch das Dasein als angestellter Musterzeichner nicht besonders, berichtet er trocken: „Im Atelier herumsitzen und Muster zu malen, wenig Geld zu verdienen, das war nichts für mich. Ich wollte mein eigenes Ding machen.“ Denn in den Sechzigerjahren habe es einen „Riesenboom für knallbunte Textilien“ gegeben, ein guter Grund, um sich selbstständig zu machen. Auf seine pragmatische Art verbindet der Jungdesigner seine Hochzeitsreise nach Schweden mit der Präsentation der ersten Kollektion, Englischkenntnisse seien ja auch kein Problem gewesen: „Ich war doch als Fünfzehnjähriger in Brighton zum Schüleraustausch.“ Ja klar! Noch heute schwärmt er von den Bildern William Turners, die er in der Londoner Tate Gallery gesehen habe. Und betont, dass sein Job immer „Handarbeit“ gewesen sei.

Nach und nach baut sich Claus Valentin ein internationales Netzwerk in der Textilbranche auf. Seine Reisewege führen ihn nach Belgien und Großbritannien, und noch immer muss er sich als Nachkriegsdeutscher behaupten. „Ihr Vater hat mich in Dünkirchen in den Ärmelkanal gejagt“, bekommt er beispielsweise zu hören. Er nimmt es gelassen, bewahrt die Ruhe und hört zu. 1968, nach vier Jahren Selbstständigkeit, zieht es den Designer für Heimtextilien über den „großen Teich“ nach New York. Er klingt wie der berühmte Tellerwäscher: „Ich schnappte mir in einem billigen Hotelzimmer die Yellow Pages und rief alle Hersteller von Vorhangstoffen an.“ Wieder wird er mit seiner Herkunft konfrontiert, denn das Textilimperium der Millionenmetropole lag in den Händen jüdischer Familien, die aus Hitler-Deutschland entkommen waren. Claus Valentin schildert ein intensives Gespräch mit einem Unternehmer, das fast aus dem Ruder gelaufen wäre. „Wenn ich auf ihre Hände schaue, sehe ich das Blut der Vergangenheit herunterlaufen“, habe der Inhaber zu ihm gesagt. Der Designer kontert, dass sein eigener Vater früh in Russland gefallen sei. „Nicht alle waren Mörder!“ Bei einem Kaffee sprechen sich die beiden aus, es ist der Beginn einer jahrelangen Geschäftsbeziehung.

Bis 2004 hat Claus Valentin als selbstständiger Designer die Welt bereist – im Gepäck zwei Kollektionskoffer und eine unglaublich pragmatische Lebenseinstellung. Seine Entwürfe für Vorhangstoffe und Tapeten schmücken Fenster und Wände in Europa, Asien, Kanada und den USA, was seine drei Kinder und fünf Enkel „ziemlich cool“ finden. „Ich betrachte mich gar nicht als Künstler“, sagt er leise zum Abschied. Doch das sieht nicht nur Beuys ganz anders.

Mit seiner Ehefrau Monika ist Claus seit über 50 Jahren verheiratet.
Fotos: Felix Burandt
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